Der Begriff „Schwarze Legende“ (spanisch Leyenda negra) bezeichnet ein seit dem 16. Jahrhundert verbreitetes, antispanisches und oft auch antikatholisches, propagandistisch überzeichnetes Geschichtsbild. Es beschreibt die katholischen Spanier als fanatisch, brutal, menschenverachtend, faul und rückständig. Die Urheber waren die vorwiegend protestantisch geprägten Länder des nord- und mitteleuropäischen Raums, allen voran England und die Niederlande, die in wirtschaftlicher, politischer und religiöser Konkurrenz zu dem spanisch-katholischen Weltreich standen.
Der Begriff wurde u. a. vom Historiker und Soziologen Julián Juderías (1877–1918) geprägt. Kernpunkte der Legende seien u. a. die einseitige Anprangerung der von Spanien begangenen Verbrechen, während jene von anderen Ländern verschwiegen oder kaum thematisiert werden. Als Beispiel kann die Behandlung der Eingeborenen in Süd- und Mittelamerika durch die Spanier gegenüber jener der Eingeborenen Nordamerikas durch Angelsachsen oder der Eingeborenen Afrikas durch Briten, Niederländer, Franzosen sowie Belgier herangezogen werden. Des Weiteren existiere die Dämonisierung spanischer Institutionen und Handlungen im Vergleich zu den entsprechenden Einrichtungen anderer Staaten. So besteht z. B. noch heute gemeinhin die Ansicht, die spanische Inquisition allein habe massive Hexenverfolgung betrieben, obwohl sie diese oft als Aberglauben bekämpft hat, während gerade protestantische Geistliche, darunter Luther, massiv zu ihr aufriefen. Positive Aspekte der spanischen Geschichte würden dabei ausgelassen: beispielsweise wurde auf die Werke von Bartolomé de Las Casas verwiesen, dabei aber nicht gewürdigt, dass eine solche massive Kritik der Politik des eigenen Landes in Spanien möglich war und positive Veränderungen zur Folge hatte. Spanische Gewalttaten seien zudem ungenau, fehlerhaft und übertrieben dargestellt. Unter Berufung auf Las Casas lastete man die sinkende Zahl amerikanischer Indigener spanischen Massakern an, während die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten als Erklärung außer Acht gelassen wurden, gegenüber denen die Indios über keine Immunabwehr verfügten. Schließlich sei die Betrachtung spanischer Aktionen vom historischen Kontext losgelöst; so werden die Konquistadoren an modernen ethisch-moralischen Grundsätzen gemessen, die Menschenopfer, Kriegszüge und streng hierarchischen Gesellschaftsordnungen der Azteken und Inkas hingegen mit dem kulturellen und zeitlichen Kontext erklärt.
Definition
Üblicherweise wird die Entstehung des Begriffs »Schwarze Legende« Julián Juderías zugeschrieben, doch der tatsächliche Ursprung ist unbekannt. Mindestens Emilia Pardo Bazán und Vicente Blasco Ibáñez hatten den Ausdruck im heutigen Sinne schon verwendet, bevor es Juderías tat, es war aber Juderías, der ihn verbreitete und den Begriff in seinem Werk La Leyenda Negra (1914) folgendermaßen erklärte:
Das zweite klassische Werk über das Thema ist Historia de la Leyenda Negra hispano-americana (»Geschichte der spanisch-amerikanischen Schwarzen Legende«) von Rómulo D. Carbia. So, wie Juderías sich mehr mit der europäischen Seite der Legende beschäftigt hat, widmete sich der Argentinier Carbia der amerikanischen Seite. Für Carbia lautet somit eine etwas allgemeinere Definition folgendermaßen:
Nach Juderías und Carbia haben viele andere den Begriff ebenfalls verwendet und abgegrenzt. 1944 hat ihn der American Council on Education in einem langen Bericht, in dem er seine Sorge wegen des anti-hispanischen Vorurteils des nordamerikanischen Lehrmaterials und Bildungswesens zum Ausdruck brachte, zu bestimmen versucht.
In seinem Buch Tree of Hate (1971) definiert Philip Wayne Powell die Schwarze Legende folgendermaßen:
Ein jüngerer Autor, Manuel Fernández Álvarez, hat die Schwarze Legende so definiert:
Der Philosoph Julián Marías betrachtet die Schwarze Legende als etwas sehr Ungewöhnliches in der Universalgeschichte:
Es ist aber wichtig, einen Punkt hervorzuheben, in dem die meisten Geschichtswissenschaftler sich einig sind und den der britische Historiker William S. Maltby sehr gut ausgedrückt hat:
Natürlich gibt es auch Historiker, die die Existenz der Leyenda Negra bestreiten. Das Leugnen der Existenz der Schwarzen Legende wurde schon 1971 von Maltby als Teil der Schwarzen Legende selbst anerkannt, was María Elvira Roca Barea in ihrem Buch Imperiofobia y leyenda negra (2016) auch so sieht. In jüngeren Jahren haben zum Beispiel die Geschichtswissenschaftler Alfredo Alvar, Ricardo García Cárcel, Lourdes Mateo Bretos und Carmen Iglesias behauptet, dass es diese Legende objektiv gar nicht gebe, sondern dass es sich lediglich um die Wahrnehmung des eigenen Erscheinungsbildes der Spanier im Ausland handele. Der französische Geschichtswissenschaftler Pierre Chaunu steht für den Ursprung dieser Idee. Dazu Carmen Iglesias:
García Cárcel leugnet gar in seinem Buch La leyenda negra komplett die Existenz der Legende,
Für den Geschichtswissenschaftler und Hispanisten Henry Kamen existiert der Begriff der »Schwarzen Legende« im angelsächsischen Kulturraum seit vielen Jahren nicht mehr, obwohl er sich in Spanien tatsächlich wegen interner politischer Fragen hält. Die Stellungnahme Kamens und sein Buch Imperio wurden von dem Schriftsteller Arturo Pérez-Reverte und dem Botschafter und Intellektuellen José Antonio Vaca de Osma heftig kritisiert. Laut Vaca de Osma verdreht Kamen Argumente, wiederholt anti-spanische Klischees und widerspricht sich. Der Geschichtswissenschaftler Joseph Pérez glaubt auch, dass die Schwarze Legende nicht mehr existiere, obwohl man hier und da noch Reste finden könne, da die Vorurteile über Spanien von jenen über andere Länder nicht zu unterscheiden seien.
Vorläufer
Ursprung in Italien
Der Hispanist Sverker Arnoldsson von der Universität Göteborg sieht in seinem Buch La leyenda negra. Estudios sobre sus orígenes (»Die Schwarze Legende. Untersuchung ihres Ursprungs«) den Ursprung der Schwarzen Legende im mittelalterlichen Italien – im Unterschied zu anderen Geschichtswissenschaftlern vor ihm, die ihn im 16. Jahrhundert verorten. Arnoldsson gründet seine These auf Studien von Benedetto Croce und Arturo Farinelli und sagt, dass Italien im 14., 15. und 16. Jahrhundert Spanien gegenüber mehrheitlich feindlich eingestellt gewesen sei. Dabei teilt er die Schwarze Legende in Italien in zwei Stufen: die ältere, zu Anfang des 14. Jahrhunderts, antikatalanisch oder antiaragonesisch, und eine neuere, antispanische, die sich ab 1500 entwickelt habe und sich seiner Meinung nach durchgesetzt habe.
Die Auffassung Arnoldssons wird von anderen Geschichtswissenschaftlern bis heute teils unterstützt und teils in Frage gestellt. Die Kritik gründet auf die folgenden Punkte:
- Dass die ersten Schriften gegen die Spanier in Italien verfasst worden seien, sei kein ausreichender Grund, um dort den Ursprung zu erkennen: es sei eine normale Reaktion einer Gesellschaft gegen eine fremde Macht, die sie erobert habe.
- Die Schwarze Legende habe eine gewisse Tradition inne, die im Fall Italiens nicht vorhanden gewesen sei, da die Reaktion sich gegen die neue Präsenz spanischer Truppen gerichtet habe.
- Seit dem 15. und 16. Jahrhundert habe es auch viele in Italien gegeben, die Spanien, und hauptsächlich seinen König, Ferdinand den Katholischen, bewundert haben sollen.
Der US-amerikanische Geschichtswissenschaftler Maltby behauptet des Weiteren, dass das Bindeglied von der italienischen Kritik hin zum Kanon der Schwarzen Legende in den Niederlanden und England fehle. Zwar akzeptiert die spanische Geschichtswissenschaftlerin Roca Barea diesen italienischen Ursprung, doch jene Kritik sei ihrer Auffassung nach Bestandteil der allgemeinen Geringschätzung der Italiener der Renaissance gegenüber allem Fremden, nicht nur gegenüber Spaniern, sondern auch gegenüber Deutschen und anderen gewesen.
Die Ablehnung der »Katalanen«
In ihrer ersten Form, antikatalanisch oder antiaragonesisch, beginnt die Schwarze Legende mit der Vorherrschaft der Krone Aragoniens in bestimmten Gegenden Italiens im 13. Jahrhundert. Die Anwesenheit von aragonesischen Prinzen, Höflingen, Soldaten und Söldnern (sogar Piraten) in Italien führt zu einer ablehnenden Haltung der Gesellschaft vor Ort gegenüber allem Fremden, hauptsächlich auf Seiten der heimischen Elite, die sich selbst als Erben des Alten Roms ansieht. Die spanischen Hidalgos fangen an, als »grob, ignorant, ohne intellektuelle Neugier« und bis ins Lächerliche zeremoniös bekannt zu werden.
Die Verbreitung der Aragoneser im Süden Italiens geschieht ab dem Jahr 1300 gleichzeitig mit dem Aufschwung des Handels in Barcelona und Valencia im Wettbewerb mit den norditalienischen Städten, hauptsächlich in den Märkten des westlichen Mittelmeers. Die Reaktion ist erneut die Verbreitung der negativen Stereotypen von Habsucht und Hinterlist der katalanischen Händler.
Ein dritter Punkt, wie die Krone Aragoniens und damit die gesamte Iberische Halbinsel von den Italienern wahrgenommen werden, sind die Sittenlosigkeit und schamlose Sinnlichkeit, die sie am päpstlichen Hof von Kalixt III. und dessen Neffen, Alexander VI. – die berüchtigten Borgia-Päpste, beide ursprünglich aus Valencia, mit dessen Namen sich zahllose Legenden und Anekdoten verbanden – als erwiesen ansehen. Auch der aragonesische Hof in Neapel wird in demselben Lichte gesehen wie gleichzeitig die Kurtisanen aus Valencia, die in ganz Italien berühmt sind.
Letztendlich wird auch den nichtchristlichen Elementen, hauptsächlich dem jüdischen und dem arabischen Einfluss, mit Misstrauen begegnet. »Jahrhundertelange Mischung der Spanier mit Orientalen und Afrikanern plus jüdischen und islamischen Einfluss auf die spanische Kultur bewirkte die weitverbreitete Ansicht, die Spanier seien eine minderwertige Rasse von zweifelhaftem Glauben.« Die Juden, im Jahr 1492 aus Spanien vertrieben, kommen in großer Zahl in Italien an, womit »Marrane« und »Spanier« oft als austauschbar angesehen werden; es geht so weit, dass Papst Julius II. seinen Vorgänger Alexander VI. als »beschnittenen Marranen« beschimpft. Die Anfeindung der Spanier durch die Italiener spitzt sich im Jahr 1503 zu, nach dem Tod Alexanders VI., als eine gewalttätige Verfolgung der verhassten »katalanischen« Vettern mit mehreren Toten endet.
Die Ablehnung der »Kastilier«
Bis ungefähr zum Jahr 1500 stellten die »Katalanen« in den Augen der Italiener sowohl Katalanen, wie Valencianer, Aragoneser, Kastilier oder Portugiesen, also die »Spanier« dar. Dies änderte sich ab 1500 mit der Entwicklung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Überlegenheit Kastiliens auf der Iberischen Halbinsel. Im 16. Jahrhundert wuchsen die militärischen Eingriffe spanischer Truppen in Italien zu etwas Regelmäßigem heran, mit Tod und Zerstörung im Gefolge wie alle militärische Auseinandersetzung, aber auch mit vielen kleineren Streitfällen, verursacht von einquartierten Soldaten und Söldnern, die ihren Sold nicht immer rechtzeitig bekamen. Wichtig im Urteil der Italiener über die Spanier war der Sacco di Prato (1512), mit, je nach Quelle, geschätzten 500 bis 5600 Toten, und hauptsächlich der Sacco di Roma (1527), obwohl dieser hauptsächlich von italienischen und deutschen Truppen begangen wurde. Das Bild des grausamen, verschlagenen und raubgierigen Spaniers verbreitete sich. 1559 sagte Marcantonio Amulio:
Auch die spanische Verwaltung in Neapel und anderen abhängigen Gebieten war ein Grund für die Anfeindung aus dem Volk. Obwohl, zum Beispiel, die Steuern nicht überhöht waren, führten sie zu vielen Klagen. Die Inquisition war auch ein Grund vieler Proteste gegen die spanische Herrschaft; es ging so weit, dass diese Missstimmung gegen die Familiare eine der Ursachen für die Aufstände von 1511 und 1516 in Sizilien war. In Neapel verursachte ein einfaches Gerücht über die Einführung der spanischen Inquisition einen gewalttätigen Aufstand im Jahr 1547. Ein großer Teil dieser Angst, die in Neapel zum Überfall der spanischen Kaserne führte, bei dem mehrere Soldaten erwürgt wurden, quoll aus nationalistischen Gefühlen, da sie – mit Recht – die Inquisition als ein politisches Werkzeug des Königs ansahen. Letztendlich führte auch die spanische Justiz zu Missmut, da sie «viel zu» unparteiisch war und damit die Feindschaft der Aristokratie und der oberen Schichten gewann.
Der spanische kulturelle Einfluss in Italien im 15. und 16. Jahrhundert war enorm. Es ging so weit, dass Spanisch lernen Mode war und die höfischen Romane Tirant lo Blanc und Amadis de Gaula die meistgelesenen Bücher sowohl in Spanien wie in Italien waren. Italiener fühlten, als Nachfolger des Römischen Reiches, ihre Kultur der spanischen überlegen, und gleichzeitig reduzierten sie letztere auf den höfischen Roman, ein Genre, das von den italienischen Intellektuellen aller Richtungen angegriffen und verspottet wurde. Dies wurde wegen der Überlegenheit der spanischen Waffen den Italienern noch schmerzhafter bewusst. Diese Kritik griff auch auf die spanische Musik über. In den Augen der Musikwissenschaftlerin Judith Etzion beginnt die Geringschätzung der spanischen Musik in der westlichen Musikwissenschaft mit dem Buch El melopeo von Pedro Cerone, 1613 in Neapel auf Spanisch herausgebracht.
Entstehung in der frühen Neuzeit
Spaniens Aufstieg zur Großmacht im 16. Jahrhundert (siehe Geschichte Spaniens#Von der mittelmeerischen zur Weltmacht) und seine antiprotestantische Außenpolitik hatte einen vorwiegend durch niederländische und englische Pamphletisten entfachten Propagandakrieg zur Folge, der zur eigentlichen Entstehung der Leyenda negra führte.
Die spanische Inquisition war das wichtigste und beliebteste Thema der leyenda negra im 16. Jahrhundert. Dabei existierte die Inquisition bereits in vielen europäischen Ländern, bevor sie von Ferdinand II. in Spanien eingeführt wurde, um gegen Conversos, konvertierte Juden und Muslime, vorzugehen und sie zu bestrafen, wenn die Aufrichtigkeit ihrer Konversion zum Katholizismus bezweifelt wurde.
Möglicherweise um die in Italien und anderswo verbreiteten o. g. Vorurteile zu widerlegen, sicher aber um die in Regionen, unterschiedliche Monarchien und verschiedene Religionen aufgeteilte, neu entstehende Nation zu erzwingen, erließen die katholischen Könige Isabella I. und Ferdinand II. ein Edikt, das alle Juden vor die Wahl stellte, sich entweder taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Etwa 50.000 Juden ließen sich taufen. Als offenkundig wurde, dass viele Juden emigrieren wollten, wurden die ohnehin harten Bestimmungen des Erlasses nicht mehr eingehalten. Viele der Emigranten wurden ihrer Vermögen beraubt und mussten das Land mittellos verlassen. Etwa 20.000 Juden starben in den Wirren der Vertreibung (siehe auch Antijudaismus#Spanien). Nicht wenige Conversos ließen sich zwar nach außen hin als Christen taufen und besuchten die Messe, hielten sich jedoch innerlich nicht an die Dogmen der Kirche, sondern an die traditionellen jüdischen Zeremonien und Speisevorschriften, heirateten untereinander, besuchten heimlich die Synagoge und erzogen ihre Kinder nicht allein im katholischen, sondern im jüdischen Glauben. Der erste Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, bemühte sich um religiöse Unterweisung der überwiegend moslemischen Bevölkerung, um arabische Sprachkenntnisse seines Klerus und um Übersetzungen von Katechismus und Kirchenliedern. Er lehnte die Inquisition und die Ausübung von Druck ab. 1499 setzte jedoch der Erzbischof von Toledo Jiménez de Cisneros Zwangsmaßnahmen und Repressalien gegen Moslems durch, aber nicht nur gegen sie: Jene ca. 50.000 Juden, die sich im Zuge der Reconquista hatten taufen lassen, wurden von den cristianos viejos, den alten Christen, als cristianos nuevos oder Marranos bezeichnet und ihre rassische Diskriminierung gefordert (limpieza de sangre). Auf Betreiben Cisneros’ wurden schon am 18. Dezember 1499 in Toledo 4.000 Mauren öffentlich getauft und der Koran in Granada verbrannt. Eine unvollständige Namensliste aus Granada berichtet von über 9.000 Personen, die sich in panischer Furcht taufen ließen. 1502 nahm ein Edikt jetzt auch offiziell die in der Kapitulationsurkunde zehn Jahre zuvor den Moslems gewährte Religionsfreiheit. Alle conversos (also mehr als 300.000 Juden und Mauren, die zum katholischen Glauben übergetreten waren) sahen sich nun einem tödlichen Misstrauen ausgesetzt. Einige der wichtigsten zeitgenössischen Beiträge für die Legende kamen jedoch von zwei Protestanten: John Foxe, Autor des Book of Martyrs (dt. ,Buch der Märtyrer‘, 1554), und Reginaldo González de Montes, Autor der Exposición de algunas mañas de la Santa Inquisición Española (dt. ,Bericht über einige Listen der Heiligen Spanischen Inquisition‘, 1567); diese Berichte, die keineswegs auf das Schicksal der Juden hinwiesen, sondern die numerisch weit geringfügigere Verfolgung der wenigen spanischen Protestanten thematisierte, fanden im protestantischen England der frühen Neuzeit große Beachtung und propagantistische Verbreitung.
Zur Legende trug auch spanische Selbstkritik bei. Das spanische Kolonialsystem der Encomienda und des Repartimiento in der Neuen Welt war immer wieder Gegenstand von Kritik und Polemik vor allem durch Dominikaner. 1511 hielt der Dominikaner Antonio de Montesino in Santo Domingo eine aufsehenerregende Predigt gegen die grausame Behandlung der Indígenas: Mit welchem Recht und welcher Gerechtigkeit haltet ihr diese Indios in solch grausamer und schrecklicher Dienstbarkeit? Mit welcher Autorität habt ihr solche verabscheuenswürdigen Kriege gegen diese Menschen geführt, die still und friedlich in ihren Landen gelebt haben und wo ihr Unzählige von ihnen mit Tod und unerhörten Verheerungen zugrunde gerichtet habt? Wie könnt ihr sie so bedrückt und beschwert halten, ohne ihnen zu essen zu geben und ihre Krankheiten zu heilen, Folgen der übermäßigen Arbeit, zu der ihr sie zwingt und durch die sie euch wegsterben, besser gesagt, ihr tötet sie, um jeden Tag Gold zu graben und zu erwerben? Damit war die Legitimität der spanischen Kolonisierung Amerikas in Zweifel gezogen worden, was für großes Aufsehen sorgte. König und Ordensgeneral rügten Montesino öffentlich, doch der beugte sich nicht. Die Kontroverse ließ sich nicht auf die theologisch-moralische Ebene begrenzen, sondern stellte ein Politikum dar, dessen Konsequenz im Dezember 1512 die Gesetze von Burgos waren: Darin wurde festgelegt, dass die Indígenas als freie Menschen behandelt und zum katholischen Glauben bekehrt werden sollten.
1542 veröffentlichte der Dominikaner Bartolomé de las Casas (1484/85–1566) sein Brevísima relación de la destrucción de las Indias (dt. ,Kurzgefasster Bericht über die Verwüstung der westindischen Länder‘) – eine polemische Streitschrift, die Exzesse und gewohnheitsmäßig verübte Gräueltaten während der Kolonisierung anprangerte, in der er die Indígenas mit wehrlosen Lämmern verglich und die Spanier für den Mord an zahlreichen Arawaks auf der Insel La Española verantwortlich machte. Diese Schrift wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und fand in den mit Spanien verfeindeten Ländern große Verbreitung. Man sah dort in der Tatsache, dass ein Spanier solche Anklagen öffentlich verbreitete, einen Beleg für deren Wahrhaftigkeit. Eine weitere frühe Quelle ist Girolamo Benzonis Buch Historia del Mondo Nuovo (dt. ,Geschichte der Neuen Welt‘); es wurde erstmals 1565 in der Republik Venedig publiziert.
Das spanische Niederschlagen des Aufstands der Niederlande im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts gab der leyenda negra weitere Nahrung, insbesondere die europaweit kritisierte Statthalterschaft des „eisernen Herzogs“ Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba (Amtszeit 1567–1573). 1576 griffen beispielsweise spanische Truppen Antwerpen an und plünderten es drei Tage, eine Tat, die als „spanische Raserei“ in die Geschichte einging. Die Soldaten plünderten die Stadt, forderten Geld von den Bürgern und brannten die Häuser derjenigen ab, die nicht zahlten. Der niederländische Gegenspieler der Spanier, Wilhelm von Oranien, brach eine Propagandaschlacht gegen die spanische Politik los, die über die Grenzen der Niederlande hinaus erfolgreich war, vor allem im ebenfalls protestantisch geprägten England, wo das Narrativ aufgegriffen wurde, um den eigenen Kampf gegen Spanien zu unterstützen.
Eine weitere Stimme im Narrativ war Antonio Pérez, der nach seinem Sturz als Sekretär des Königs Philipp II. nach England floh und 1594 einige Schmähschriften gegen die spanische Monarchie unter dem Titel Relaciones (dt. ,Berichte‘) veröffentlichte. Die verzerrte Darstellung der Gefangennahme des geistig labilen und zu Grausamkeit neigenden Prinzen Don Carlos (1545–1568) durch seinen Vater, König Philipp II., und der anschließende mysteriöse Tod des Prinzen trugen ebenfalls zur Leyenda negra bei. Die Gefangennahme und der Tod Don Carlos’ inspirierten Friedrich Schiller 1787 zu seinem Theaterstück Don Carlos, Infant von Spanien und später Giuseppe Verdi zu der Oper Don Carlos. In diesen Werken wurde Don Carlos zum Freiheitshelden verklärt und Philipp zum unmenschlichen Despoten gestempelt. Im 17. Jahrhundert, als Barcelona, die Hauptstadt Kataloniens, nicht von der kastilisch dominierten spanischen Monarchie absorbiert werden wollte, wurden hier viele Schmähschriften produziert.
Aufklärung
Im Zeitalter der Aufklärung bildete das etablierte negative Bild Spaniens eine beliebte Negativfolie. Dadurch erhielt die Leyenda negra erneut und nachhaltig Auftrieb. 1770 veröffentlichte Guillaume Thomas François Raynal L’Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes (dt. ,Die philosophische und politische Geschichte der Gründung und des Handels der beiden Indien‘, womit Ostindien, also Asien, und Westindien, also Amerika, gemeint waren).
Romantische Reisende
Im 19. Jahrhundert konstruierten viele Schriftsteller ein mythisches Andalusien: Washington Irving, Prosper Mérimée, George Sand, Théophile Gautier, Wassili Botkin u. a. In ihren Schriften wurde Spanien zu einem Orient der westlichen Welt (Afrika beginnt in den Pyrenäen), einem exotischen Land voll von Banditen, wirtschaftlichem Niedergang, Zigeunern, Ignoranz, machismo, Matadoren, Mauren, politischem Chaos, Armut und fanatischer Religiosität. In der Musik trugen Georges Bizet mit Carmen (1875) und Nikolai Rimski-Korsakow mit Capriccio espagnol (1887) zur Persistenz dieses Topos bei.
Gegenwart
Im 21. Jahrhundert lebt die Schwarze Legende noch besonders stark im deutschsprachigen Raum fort. So hat Roland Bernhard in seiner Dissertationsarbeit nachgewiesen, dass in den deutschen und österreichischen Schulbüchern noch viele Fehler, Auslassungen und Übertreibungen vorhanden sind, die auf die Schwarze Legende zurückgehen. Neue Forschungsergebnisse werden dabei oft nicht berücksichtigt. Die zentrale Rolle der indianischen Verbündeten bei der Eroberung der Großreiche der Azteken und Inkas wird z. B. weiterhin kaum erwähnt, und der demographische Kollaps wird oft dem Wirken der Spanier zugeschrieben statt der verheerenden Epidemien, die aufgrund der mangelnden Immunabwehr der Indios Millionen Opfer forderten.
Rezeption in den Vereinigten Staaten
In seinem Buch Tree of hate (dt. ,Baum des Hasses‘) beschrieb Philip Wayne Powell 1971 detailreich, wie sich die Leyenda negra ab dem 16. Jahrhundert ausgebreitet hat und über England in den USA insbesondere von den White Anglo-Saxon Protestants aufgenommen und verbreitet wurde. Die Vorurteile gegen die Spanier seien im 19. Jahrhundert auf die Mexikaner übertragen und in Massenmedien popularisiert worden. Bisweilen wurden sie als Rechtfertigung von Kriegen gegen Spanien bzw. lateinamerikanische Staaten, z. B. im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg, Spanisch-Amerikanischen Krieg oder bei der Kolonisierung der Philippinen nach dem Philippinisch-Amerikanischen Krieg, herangezogen. In zahlreichen Romanen und Hollywood-Filmen haben die Spanier bzw. Mexikaner die Rolle der Bösen, wodurch das antispanische Geschichtsbild in breiten Bevölkerungskreisen verfestigt wurde.
Literatur
- Alfredo Alvar: La leyenda negra. Akal, Madrid 1997, ISBN 84-460-0797-5 (spanisch).
- Sverker Arnoldsson: La Leyenda Negra. Estudios sobre sus orígenes. Göteborgs Universitets Årsskrift, Göteborg 1960 (spanisch).
- Roland Bernhard: Geschichtsmythen über Hispanoamerika. Entdeckung, Eroberung und Kolonisierung in deutschen und österreichischen Schulbüchern des 21. Jahrhunderts. Göttingen 2013, ISBN 978-3-8471-0204-5 (v-r.de [PDF]).
- Rómulo D. Carbia: Historia de la leyenda negra hispano-americana. Marcial Pons Historia, Madrid 2004, ISBN 84-95379-89-9 (spanisch, Erstausgabe: 1943).
- Ricardo García Cárcel, Lourdes Mateo Bretos: La leyenda negra. Altamira, Madrid 1990, ISBN 84-7969-013-5 (spanisch).
- Ricardo García Cárcel: La leyenda negra. Altaya, Barcelona 1997, ISBN 84-487-0905-5 (spanisch).
- Friedrich Edelmayer: Die „Leyenda negra“ und die Zirkulation antikatholisch-antispanischer Vorurteile. In: Europäische Geschichte Online. Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, abgerufen am 13. Juli 2011.
- Charles Gibson (Hrsg.): The Black Legend. Anti-Spanish Attitudes in the Old World and the New. Knopf, New York 1971, ISBN 0-394-30289-3 (englisch).
- Julián Juderías: La Leyenda Negra. Junta de Castilla y León, Salamanca 2003, ISBN 84-9718-225-1 (spanisch, Erstausgabe: 1914).
- William S. Maltby: The Black Legend in England. The Development of anti-Spanish Sentiment, 1558–1660. Duke University Press, Durham NC 1971, ISBN 0-8223-0250-0 (englisch, Erstausgabe: 1968).
- Julián Marías: España Inteligible. Razón Histórica de las Españas. Alianza Editorial, 2006, ISBN 84-206-7725-6 (spanisch, Erstausgabe: 1985).
- Miguel Molina Martínez: La leyenda negra. Nerea, Madrid 1991, ISBN 84-86763-42-8 (spanisch).
- María Elvira Roca Barea: Imperiophobie. Rom Russland, die Vereinigten Staaten und das Spanische Imperium. Übersetzt von Christine Merz, Westend Verlag, Frankfurt / Main 2022, ISBN 978-3-86489-333-9.
- María Elvira Roca Barea: Imperiofobia y leyenda negra. Roma, Rusia, Estados Unidos y el Imperio español (= Biblioteca de Ensayo / Serie mayor. Band 87). Ediciones Siruela, Madrid 2016, ISBN 978-84-16854-23-3 (spanisch).
- Ingrid Schulze Schneider: La leyenda negra de España. Propaganda en la guerra de Flandes (1566–1584). Editorial Complutense, Madrid 2008, ISBN 978-84-7491-928-8 (spanisch). (Rezension von Britta Tewordt bei H-Soz-u-Kult, November 2010.)
- Judith Pollmann: Eine natürliche Feindschaft. Ursprung und Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560–1581. In: Franz Bosbach (Hrsg.): Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit (= Bayreuther historische Kolloquien). Band 6. Böhlau/Köln u. a. 1992, ISBN 3-412-03390-1, S. 73–93.
- Konrad W. Swart: The Black Legend during the Eighty Years War. In: John S. Bramley, Ernest H. Kossmann (Hrsg.): Some Political Mythologies. Papers Delivered to the Fifth Anglo-Dutch Historical Conference (= Britain and the Netherlands). Band 5. Nijhoff, Den Haag 1975, ISBN 90-247-1763-9, S. 36–57 (englisch).
- José Antonio Vaca de Osma: El Imperio y la leyenda negra. Rialp, Madrid 2004, ISBN 84-321-3499-6 (spanisch).
- Philip Wayne Powell: Tree Of Hate. Propaganda and Prejudices Affecting United States Relations with the Hispanic World. University of New Mexico Press, Albuquerque 2008, ISBN 978-0-8263-4576-9 (englisch).
Bemerkungen
Weblinks
Einzelnachweise




